1. Am Scheideweg (Arnold Schönberg) >>> Text | Quellen


2. Vielseitigkeit (Arnold Schönberg) >>> Text | Quellen


3. Der neue Klassizismus (Arnold Schönberg) >>> Text | Quellen


AUFFÜHRUNGSDAUER: ca. 11 Min.

VERLAG:
Universal Edition
Belmont Music Publishers (USA, Kanada, Mexico)

Die »Drei Satiren« für gemischten Chor entstanden in einer Zeit, zu der Schönberg 51-jährig am Höhepunkt seiner Laufbahn stand. Kurz vor dem Beginn der Komposition war er nach Berlin an die Preußische Akademie der Künste als Nachfolger Ferruccio Busonis berufen worden. Die Zwölftontechnik hatte sich bis zu einem gewissen Grad etabliert. War Schönberg als Komponist anerkannt wie nie zuvor, so blieb er doch in seinem künstlerischen Selbstverständnis sensibel: »Ich schrieb [die Satiren], als ich über die Angriffe einiger meiner jüngeren Zeitgenossen sehr aufgebracht war, und wollte sie warnen, daß es nicht gut ist, mit mir anzubinden«, erläutert Arnold Schönberg in einem Brief an den amerikanischen Komponisten Amadeo de Filippi. Im Vorwort zu den »Drei Satiren« nennt er vier »Zielgruppen«, die er treffen wollte: zum ersten diejenigen, »die ihr persönliches Heil auf einem [kompositorischen] Mittelweg suchen.« Weiters alle, die sich an der Vergangenheit orientieren, rückwärts statt vorwärts blicken, drittens die »Folkloristen« und viertens »alle ›...isten‹, in denen ich nur noch Manieristen sehen kann.«

Die Botschaft der Satiren lässt sich auch heute noch nachvollziehen, obwohl sie als unmittelbare Reaktion auf aktuelle Strömungen gedacht waren. Mit »Am Scheideweg« ist die erste Zielgruppe angesprochen: diejenigen, die sich tonaler wie atonaler Prinzipien bedienen, ohne sich über Ursachen und Konsequenzen im Klaren zu sein. Der Textstelle »Tonal« entspricht ein C-Dur Dreiklang, der in der Zwölftonreihe bereits angelegt ist. Ganz bewusst wird diese tonale Zelle (entgegen dem Prinzip, plakative Dur/Moll-Konstellationen zu vermeiden, um nicht den Eindruck eines tonalen Schwerpunkts zu erwecken) eingesetzt und bildet die musikalische Entsprechung zum Kontrast Tonal/Atonal im Text. Der Kanon wird herangezogen, um die Verächter der Kunst verfeinerter Polyphonie erzittern zu lassen. Grundgestalt und Krebs der Reihe werden zu einer 23-tönigen Doppelreihe vereint und als vierstimmiger Kanon im Einklang durchgeführt. Eine Coda, in der die Grundgestalt enggeführt wird, beschließt den Kanon.

An diesem, wie auch am nächsten Stück »Vielseitigkeit« fällt die einfache rhythmische Faktur ins Auge, die mit der komplexen Tonhöhenordnung in Kontrast steht. Das Stück ist ein Spiegelkanon, der nach allen Regeln des Kontrapunkts aus leicht modifizierten Zwölftonreihen gestaltet ist. Ein besonderer Kunstgriff zeigt sich beim Umdrehen des Blattes: Man erhält das gleiche Musikstück noch einmal, lesbar durch die am Zeilenende umgekehrt notierten Notenschlüssel. Im zweiten Chor lässt bereits der optische Eindruck des Notenbildes die polyphon äußerst vielschichtige Struktur erahnen. Das Stück gemahnt an die sogenannte ›Augenmusik‹ des 15. und 16. Jahrhundert. Die wie im ersten Stück immer wieder auftretende Tonfolge c-e-g bleibt hier klanglich weitgehend im Hintergrund.

Nr. 3 – »Der neue Klassizismus« ist eine Kantate für gemischten Chor mit Begleitung von Bratsche, Violoncello und Klavier. Sie ist in wesentlichen Teilen gegen den Musikwissenschaftler Hugo Riemann gerichtet, was Schönberg in seinem Vorwort nicht eigens erwähnt. Riemann hatte sich in seinem Musiklexikon (in der Ausgabe von 1916) abfällig über Passagen in Schönbergs »Harmonielehre« geäußert, was der Komponist 1926 (zur Entstehungszeit der Satiren, als Riemann längst gestorben und die bewusste Stelle längst gestrichen war) noch nicht verwunden hatte. Davon abgesehen ist Strawinsky das Hauptangriffsziel. Anleihen an die barocke Kantatenform sind offensichtlich. Auf ein Tenorrezitativ (mit »eventuell Solo« bezeichnet) folgen ein instrumentales Zwischenspiel und eine Arie für Bass (wiederum »eventuell Solo«) und Chor »Dem kann die Macht der Zeiten nichts mehr anhaben«. Es folgt ein weiteres Zwischenspiel und die Chorfuge »Die Hauptsache ist der Entschluss«. Ein weiteres instrumentales Zwischenspiel, in dem Themen aus dem ersten Zwischenspiel verwendet werden, führt zu einer »Dreifachfuge«, deren Themen aus der gleichen Reihe stammen. Neben den Zwischenspielen haben die Instrumente auch die Aufgabe, die Gesangslinien zu unterstützen – ähnlich wie bei der allerdings fakultativen Begleitung zu Schönbergs Chorwerk »Friede auf Erden« op. 13.

Der Anhang zu den »Satiren« besteht aus drei Kanons, die diatonisch komponiert sind. In einem gesonderten Vorwort begründet Schönberg das Verfahren damit, er habe beweisen wollen, dass er in der Lage sei, diatonische Kanons zu schreiben, »was zwar nicht sehr geschätzt wird, aber immerhin als schwierig gilt.« Zudem ist der Kanon jene traditionelle Form, die den Erfordernissen der Zwölftonmethode am nächsten kommt.

Agnes Grond | © Arnold Schönberg Center